Helga Osswald-Ludwig
Wir feiern zehn Jahre „Heidelberger Textsalon“. Eine Dekade. Ganz schön alt, könnte man meinen. Oder ganz schön jung? Je nach Standpunkt.
Die Zehn hat es in sich.
10 kleine Negerlein, wer kennt sie nicht? Weder sie noch das Kinderlied haben überlebt.
Unsere 10 Finger – mit ihnen haben wir Zählen gelernt – heute die Grundlage des Dezimalsystems.
Die 10 Gebote, sie sind 10 Mal Vollkommenheit. Diese Erfolgsgeschichte, viel länger als eine Dekade, zwei mal zehn hoch drei Jahre, wird uns alle überdauern.
Zehn Gerechte muss Abraham finden, damit Gott Sodom und Gomorra nicht zerstört.
Nicht zu vergessen, die zehn biblischen Plagen: Wasser wird zu Blut, Frösche, Hundsfliegen, die Pest, Stechmücken, Blattergeschwüre, schwerer Hagel, Heuschrecken, dreitägige Finsternis, die Tötung der Erstgeburt.
Unsere neuartige schlimme Plage, das Virus Covid-19 war noch nicht dabei.
Und noch zur Zehn: am 10. März 2020 wurden in Bonn zehn Corona-Infizierte gemeldet. Danach durften wir uns mehr als 10 x 10 Tage nicht treffen.
Heute gelten Abstandsregeln für alle und die Maskenpflicht. Nie hätte ich mir vorstellen können, dass ich eines Tages die Bank mit einer Maske betrete, um Geld zu holen.
„Wer denkt heute noch zehn Tage voraus?“ Dieses Zitat von Arno Schmidt in „Ansichten eines Fauns“ bekommt im aktuellen Kontext eine ganz neue, eine erweiterte Bedeutung.
Meine Stärke, 10 Tage im Voraus zu denken, ist es nicht. Noch schwerer fällt mir, zehn Tage im Voraus zu planen. Der Beruf war die Ausnahme.
Wenn du etwas kaufen willst, was teuer ist, und du hast nur eine Zehnermünze dabei, dann lässt du den Gegenstand besser im Laden. Mehrere Zehnerscheine wären in diesem Fall besser. Manches ist im Zehnerpack günstiger, also immer aufpassen und besser zehnmal nachrechen.
Im Zehnerpack kaufen wir Eier und Briefmarken.
Für eine Zweitwohnung, am besten ohne Hindernisse und modern, so wie sie mir gefiele, müsste ich mindestens das Zehnfache auf meinem Konto haben oder noch besser, das zehnmal Zehnfache. Die würde ich mir zehnmal anders einrichten. Eine wunderbare Idee! Und für eine Drittwohnung für das eine oder andere Enkelkind wäre höchstens gerade das 10-mal-10-hoch-10-fache genug.
Dezimierung? Darunter muss der Textsalon nicht leiden. Zu uns strömt immer mal wieder eine oder einer. Einige von uns gehören schon zu den Top Ten der Autorenszene am Neuenheimer Marktplatz.
Und immer wieder die 10!
Da gibt es die 10 heißesten Eisen.
Die 10 nervigsten Deutschen (in Schweizer Augen).
Die 10 größten Skandale.
Die 10 größten internationalen Hits.
Die 10 erotischsten Frauen der Welt.
Von den 10 erotischsten Männern habe ich nichts gelesen.
Die 10 heißesten Sommer.
Die 10 dümmsten Fehler kluger Leute.
Die 10 besten Links.
Die 10 besten Stellungen – die zehntbeste Stellung der Deutschen ist die Richtigstellung.
Die 10 höchsten Wasserrutschen, die 10 gefährlichsten, die 10 krassesten usw. usf.
Die Liste wäre noch um das Zehnfache fortzusetzen.
Die 10 wichtigsten Autoren aus Heidelberg waren nicht zu finden, auch nicht die 10 witzigsten oder die 10 langweiligsten.
Noch nicht einmal die Top Ten vom Heidelberger Textsalon.
Hier noch eine Anregung für uns Autoren:
Die 10 wichtigsten Wörter meines Lebens oder die 10 wichtigsten Menschen meines Lebens. Welche möchten unbedingt nach außen? Welche haben große Bedeutung?
Wie unausweichlich lande ich schon wieder bei der Zehn.
„Wenn Ihnen das Schicksal immer wieder die Zehn in Ihr Leben schickt, dann ist das ein gutes Zeichen.“ Nicht schlecht, denke ich und will lesen.
Da klingelt das Telefon, ich bin abgelenkt und erst einmal mit anderen Dingen beschäftigt.
Als ich mir diesen Text später zu Gemüte führen will, ist er nicht mehr auffindbar. Ich suche, gebe die unterschiedlichsten Suchvariationen ein, auch den vollständigen Satz, der mir geblieben war. Nichts! Hätte mir gefallen, dieses gute Zeichen meines Schicksals zu erfahren.
Beim Überlegen, was ein gutes Zeichen mit der 10 in meinem Leben sein könnte, fiel mir dann etwas ein. Am 10. Dezember hat meine jüngere Tochter Geburtstag. Ein sehr schönes Zeichen!
Und noch etwas: Nach der 10. Klasse Oberschule, im Alter von 10 + 6 Jahren, habe ich meinem Heimatort in der ehemaligen DDR den Rücken gekehrt, ein schicksalhafter Einschnitt in meinem Leben.
Und noch einmal zu unserer 10: Zehn Jahre Textsalon.
Nach zehn Jahren Ehe kann Rosenhochzeit feiern, wer mag. So eng sind wir nicht, aber zehnjähriges Textsalon-Jubiläum ist ein Grund zum Feiern. Ich gratuliere uns allen zu zehn Jahren Zusammenhalt plus vielen anregenden Gesprächen und Inspirationen. Da ich immer dieselben Gesichter hier sehe, vermute ich, euch geht es wie mir: Ich bin gerne dabei. Wer nicht bis 10 zählen kann, kommt wohl kaum zu uns in den Textsalon, auch wenn man ihn zehnmal dazu einladen würde.
Gefeiert wird am 10 + 8. September im Jahre 10 x 10 x 10 x 2 + 10 + 10, also heute, nicht im Cafe Auszeit, sondern hier im Gemeindehaus der Johannesgemeinde in Neuenheim, mit Texten im Zehn-Minuten-Takt. Höchstens!
Ein Hoch auf die 10 und auf uns!